Vater
und Mutter legen uns in eine Wiege, lehren uns Laufen und Sprechen und fördern
unser unwissendes Wesen zum Begreifen und Verstehen. Dann steigt der kleine
Erdenbürger mit zaghaften Schritten auf die Leiter des eigenen Denkens und
geht, früher oder später, unbewusst oder zielstrebig auf seine Lebensreise.
Ich kam am 15. November 1924 in Duisburg zur Welt. Meine Erinnerungen an den Start
in das bewusste Leben gehen zurück in das Jahr 1928
Mein Vater, Heinrich Messing, von Beruf Modellschreiner in einer Maschinenfabrik und
meine Mutter, Maria Magdalena, die man Magda nannte, waren eingebunden in einen
Freundeskreis der sich im katholischen Glauben
freudig und ehrlich einsetzte für ein Gemeinschaft mit lebensbejahenden
Aufgaben und Zielen.
Beide Großelternpaare, 5 Geschwister meiner Mutter und 7 meines Vaters, waren bei
jeder Gelegenheit einer gemeinsamen Feier bei uns zu Gast.
Wir Kinder waren oft bei den Großeltern. Sie setzten uns Wegweiser, zu tun was
möglich und zu lassen was unmöglich ist. Die große Familie hat fromm und
fleißig für den Nachwuchs gesorgt. Wir waren zu Hause 7 Kinder. Mit 16 weiteren
Cousins und Cousinen und 8 eingeheirateten Tanten und Onkel standen bei
Familienfeiern 43 Familienmitglieder auf der Matte, die sich alle gut
verstanden. Wären da nicht meine drei
Tanten ins Kloster gegangen, die katholischen Schwestern Reinalda, Cleopha und
Leontine, dann wäre die Zahl noch größer geworden. Es muss wohl was dran sein,
wenn Schwester Reinalda mir später einmal gesagt hat, dass sie für die Familie
gebetet hätte. Aus der großen Gruppe wurden durch Bomben und Krieg nur 3 Leben
geopfert.
Unsere Familie war eine Gemeinschaft der Selbsthilfe. Die Frauen und Mütter
verabredeten sich zur Jahreszeit der
Obst und Gemüseernte, um größere Mengen der Feldfrüchte gemeinsam auf
dem Wochenmarkt der Niederrhein-Bauern einzukaufen. Sie trafen sich im Wechsel
der Wohnungen, um Obst zu schälen,
Gemüse zu putzen, Erbsen zu döppen, Bohnen zu schnibbeln und Kohl zu schaben
und alles für den Winter in Weckgläser einzukochen. Darüber hinaus wurden viele
Zentner Äpfel und Kartoffeln im Keller auf Regalen und in großen Kisten
eingelagert. Daneben gab es noch einen Kellerraum, in den Kohlenhändler zum
Winterbeginn Säcke hineintrugen zur Versorgung von Küchenherd und Heizofen mit
Verbrennungsmaterial. Alle fanden immer die Zeit, mehr der Gemeinschaft zu
dienen als am eigenen Herd zu sitzen. Ich denke, dass meine spätere Führungsauffassung
der Delegation von Verantwortung für Teilaufgaben an Mitglieder eines
Teams den Ursprung im Beispiel
meiner Familie hat.
Wir Kinder verbrachten unsere Tageszeit der Vorschuljahre im Kindergarten der
katholischen Kirche, spielten mit Malkästen und formten aus Plastilin kleine
Figuren. Die Tagestrennung vom Elternhaus war wohl ein erster Ansatz dafür,
dass die Generation dieser Zeit besondern früh erwachsen wurde.
Alles wird in seiner Zeit durch Gegenwart Vergangenheit.
Nach dem frühen Tod der Großmutter, Maria Magdalena Proest, lebte Großvater Theodor
bei uns. Jeden Tag saßen, jährlich zunehmend, bis zu 10 Esser an Familientisch, um aus großen Töpfen Gemüse und
Kartoffeln zu verzehren.
Kaum 6 Jahre alt wurde ich fast täglich losgeschickt, um in der Bäckerei 3 Brote von gestern zum halben Preis des
frischen Backwerks zu kaufen. Es gab 3 mal 3 Pfund Brot für 50 Pfennige. Der Handwerkerlohn dieser Zeit war
1 Mark pro Stunde bei 48 Wochenstunden. Immer
gab es für meine Mühe als Lohn vom
Bäcker einen Berliner Ballen oder eine gezuckerten Schnecke.
Wir streckten uns nach der Decke, und ohne
über Radio, Telefon und TV nach draußen zu hören und zu sehen war die
Welt in Ordnung. Wir spürten keinen Mangel Hätten wir über den Zaun schauen
können und Speisen der anderen gesehen, dann hätte das vielleicht Wünsche
geweckt. Gehungert haben wir nie.
Wenn man Dinge positiv angeht
erreicht man mehr in weniger Zeit, entwickelt Selbstbewusstsein und eine
wachsende Unabhängigkeit.
<
Lehrer und Eltern haben uns Kindern sehr früh das Vertrauen
geschenkt, viele Wege zum Ziel alleine zu gehen. Das war wohl auch wichtig,
weil die Mehrheit der Kinder nach 8 Schuljahren 14 jährig in das Berufsleben
eintrat.
Nur insgesamt etwa 15% der Jugendlichen
besuchte nach 4 Schuljahren die 6 Jahre
der Mittelschule in den Ländern, wo es sie gab oder die 8 Jahre der Oberschule.
Diese Weiterbildung war nur gegen Schulgeld möglich. So wurde Schulbildung
überwiegend von den Familien gekauft, die auch das Geld dafür hatten. In einer
Zeit, in der ein Arbeiter kaum mehr als 1 Mark in der Stunde verdiente, mussten für die Weiterbildung zur
mittleren Reife monatlich 10 und zum Abitur 20 Mark bezahlt werden. Zur
Förderung von kinderreichen und sozial schwachen Familien wurden ab 1936
Ermäßigungen für begabte Kinder eingeführt. Allerdings spielte da bereits die
politische Farbe Braun eine Rolle. Wer nicht Mitglied der Hitlerjugend, des
Bundes Deutscher Mädchen oder des Jungvolks war ging leer aus.
Während ich den Ernst des Lebens übte nahm zu Hause die Zahl der Geschwister zu. 1932
waren wir 6 und lebten mit 8 Personen in einer 3 Zimmerwohnung.
Ich hatte erfahren, dass Pastor Limberg unserer Gemeinde Bonifazius Messediener
suchte, die bereit waren, am frühen Morgen in der Kapelle des katholischen
Marien Hospitals in der Messe zu dienen. Der Lohn war ein Frühstück, bevor man
von dort zur Schule gehen konnte. Ich kleiner Junge fühlte mich ganz groß, als
der Pastor meine Bewerbung annahm. Von da an wurde ich jeden Morgen von lieben
Schwestern mit einem supergroßen Brötchen mit Käse und Wurst und mit Malzkaffee
und Milch belohnt. Das war meine erste selbstständige Unternehmung gegen
Vergütung in Naturalien. Meine Eltern waren offensichtlich stolz auf mich,
obwohl mein Grund zum Handeln materiell und egoistisch begründet war. Aber so
ist das im Leben, wer was tut wird auch was haben. Meine Mutter beruhigte Ihr
Gewissen damit, dass sie mir zur Schulhofpause täglich ein Butterbrot mit
Rübenkraut als zweites Frühstück vom angrenzenden Hof unseres Hauses aus über
den Schulzaun reichte.
1934 zogen ganze Schulklassen und Familien zu Fuß mit Kind und Kegel zur Eröffnung
des Duisburger Tierparks am Kaiserberg. Eine Sensation für die Stadt und ihre
Menschen. Ich hatte ein neues Freizeitziel.Immer wieder nahm ich 2 mal 5 km
Fußweg hin, um eintrittsfrei den Tierpark zu besuchen. Die exotische Welt der Tiere faszinierte
mich. Wir machten oft Klassenausflüge zu diesem letzten Berg vor der Ebene des
Niederrheins. Da war ein Vogelmännchen, dem Eichhörnchen und Vögel aus der Hand
fraßen. In dieser Zeit hat man über Natur- und Tierschutz nicht nachgedacht.
Ich konnte ungehindert anschauliche Tiere dieser Region fangen und ihnen im
Tierhaus unserer Volksschule eine neue Heimat geben. Das bot den Schülern die
Möglichkeit, vor den Ausflügen zum Vogelmännchen die Eigenschaften heimischer
Tiere im Schulgarten kennen zu lernen. Den Tieren ging es gut und ich durfte
während der Schulzeit zum Zoohändler, um Futter für unsere zoologischen Gäste
zu kaufen.
Unbewusst
geriet ich in dieser Zeit als Messediener in eine Auseinandersetzung, die mir
zu Denken gab, aber nicht Zweifel an der Freude unserer Jugenderlebnisse im
dritten Reich weckte, was wohl auch daran lag, dass unsere Eltern zum Schutz
der eigenen Familie schwiegen und das Jungvolk nicht verboten hatten, um uns zu
schützen. Wir hatten in unseren jungen
Jahren viel Selbständigkeit und eine große Freiheit für Gruppenerlebnisse.
Der
Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen hatte einen Hirtenbrief an
seine Kirchenbrüder und Schwestern verfasst. Ich sollte den Abdruck am
Kirchentor verkaufen mit einer Provision von 10% des Erlöses. Da stand ein 11
jähriger Junge mit dem Schriftenpaket und rief in die Gruppe der Menschen sein
Verkaufsangebot „Versagt die Kirche – 10 Pfennig, Versagt die Kirche – 10
Pfennig“. Der Bruder unseres Pastor
Schwering stand zustimmend daneben als eine Meute von 3 Männern heran stürmte
und ihn auf der Kirchentreppe mit Fausthieben zu Boden schlug. Ich hatte damals
keine Ahnung vom politischen Hintergrund und habe erst viel später verstanden,
wie mutig sich unser Pastor hinter von Galen und vor seine Kirche gestellt hat.
Pastor Schwering wurde später Dechant der Stadt Duisburg. 1972 wurde das
Hochhaus meiner Firma, die „Messo Denkfabrik“,
eingeweiht. Der Oberbürgermeister sprach für die Stadt und Dechant
Schwering für die Kirche. Dabei bezog er sich auf meinen Vater, den er gut
kannte. Er hätte ihm den Rat gegeben, niemals seine Kinder tot zu schlagen,
weil man nie weiß, was daraus werden
kann.
1936 war das Jahr der Olympischen Spiele in Berlin. Wir sind mit dem Ohr in den
Volksempfänger gekrochen. Dieses Radio ermöglichte Familien, die sich die mehr
als doppelt so teueren Markengeräte nicht leisten konnten, Rundfunk zu hören.
So waren wir auch für die Sendungen der
Regierung erreichbar. Wir waren begeistert, wenn die Athleten um Gold, Silber
und Bronze kämpften. Die Welt war in Deutschland zu Gast und die Deutschen waren stolz darauf. Nicht
wenige Regierende der Welt standen, wie auch Jahre später in China, unserer
Regierung auf der Schleppe, um im Lichte der Ereignisse zu glänzen. Im Zeichen der Macht
ist oft jedes Mittel recht.
Wir Kinder waren unbefangen und sahen Deutschland im Sinne der Hymne über alles in
der Welt. Wir waren nicht voreingenommen und lebten die Freude der Sieger mit.
Der schwarze Amerikaner Jesse Owens lief 100 m in 10.3 Sekunden und sprang
8.03 Meter weit. Meine Idole aus unserem Schwimmclub, Klingenburg und Schneider, holten mit der
Wasserball-Nationalmannschaft die Silbermedaille und die Duisburgerin Anni Steuer gewann Silber im Hürdenlauf. Wir waren
begeistert und angespornt, später mal ähnlich zu glänzen.
Hoch hinaus im Alten Land.
In den Sommerferien 1939 meldete ich mich freiwillig
zur Erntehilfe. Die Obstbauern im Alten Land an der Elbe suchten in der
Erntezeit Helfer für ihren Hof und Pflücker für die Kirschen und Pflaumen. In einem Großraumwagen
der Reichsbahn wurden Schüler meiner Klasse und Schülerinnen aus einer Mädchenschule auf die Zugreise nach Stade geschickt. Wir
sangen unterwegs „Hoch auf dem gelben, Wagen“, “Schwarzbraun ist die
Haselnuss“, “ein Heller und ein Batzen“ und tanzten übermütig auf den Bänken.
Die Stimmung war auf dem Höhepunkt als wir in Stade ankamen. Im Warteraum des
Bahnhofes konnten die Bauern wählen, wen sie
zu ihrem Hof mitnehmen wollten. Meine Hochstimmung sank schnell auf den
Tiefpunkt. Ich musste als Kleinster lange warten, bis Bauer Köpcke aus
Grünendeich an der Lühe mich, mehr aus Mitleid als aus Überzeugung, in seinem
Mercedes Benz mitnahm.
Oft trügt der Schein und nicht immer sind äußere
Eindrücke das Maß für den Inhalt. Es dauerte nur wenige Tage, bis ich als Tetje
akzeptiert wurde. Mein Talent, als Turner auf hohen Leitern und in Baumkronen
der Kirschenbäume Starennetze zu verknüpfen und Kirschen zu pflücken, war eine willkommene Eigenschaft. Für jeden
gefüllten Kirschenkorb war der Lohn 10 Pfennige und ich schaffte eine Menge
davon. Zwischen Obstbäumen und Wassergräben gab es ein kräftiges Mittagessen
mit Bohnen oder Erbsen, mit Schweinefleisch oder geräuchertem Speck. Das
alleine war schon Teil des Lohnes für die Arbeit.
Die Kirschen wuchsen auf hohen Bäumen. Von den höchsten Baumkronen, die man als Pflückbereich gerne an mich delegierte, konnte
ich die ein- und ausfahrenden Schiffe auf der Elbe sehen. Die Nationalsozialisten betonten die Volksgemeinschaft und
die Abkehr vom Ständedenken. Dazu gehörte auch die Organisation von Urlaub und Freizeit der schaffenden Bevölkerung als
Quelle der Kraft für die Leistung. Die Organisation „Kraft durch Freude“ war eigens dazu da, Freizeit zu organisieren. Dafür gab es einen
Schiffstourismus mit einer Flotte von Kreuzfahrtschiffen.
Vom hohen Wipfel der Kirschbäume aus sah ich auf der Elbe wie im Film viele
Schiffe aus aller Herren Länder. Darunter auch 2 stolze weiße Ozeanriesen der KDF,
Robert Ley und Wilhelm Gustloff. Diese Aussicht passte so ganz zu den Träumen von meiner Zukunft.
Als
ich von der Erntehilfe nach Hause kam war die Welt unserer Familie verändert.
Mein Vater war am ersten Kriegstag eingezogen worden. Wohl weil er als Soldat
des ersten Weltkrieges Erfahrungen
mitbrachte, die Freiwillige der deutschen Wehrmacht noch nicht hatten.
Vielleicht auch, weil sein Betrieb nicht kriegswichtig war, oder dass einige falsche
Freunde wussten, dass er auf einer anderen politischen Weiche stand. Ich war
ahnungslos, wusste nichts davon und war wohl stolz darauf, dass mein Vater mit
an der vorderen Front stand. Seine Feldpostbriefe von Siegen und Sorgen in
Polen las ich sehr aufmerksam. Vom Volk und Führer stand nichts in oder
zwischen den Zeilen. Sorgen um die Familie musste er sich nicht machen. Mutter
erhielt weiter die finanziellen Mittel für die Familie und dazu Kindergeld
sowie Bezugscheine für Lebensmittel. Wir machten im Jungvolk Mutproben,
Marschierdienste und eine spannende Winterreise der ganzen Klasse in das
Skigebiet des Sauerlandes zur vormilitärischen Ausbildung in Lüdenscheid. Zum
ersten mal auf Skibrettern. Das war doch etwas in der Zeit, in der sich die Reichen
auf Pisten tummelten, die wir nur aus
Filmen kannten.
In der zweiten Jahreshälfte 1940 fielen erste britische Bomben auf Duisburg. Ich
hatte mir im Keller einen Schlafplatz eingerichtet. So musste ich nicht bei
jedem Fliegeralarm zur Kellerflucht aufstehen. Das war praktisch gedacht und
erfolgreich gehandelt.
Die britischen Bombenangriffe nahmen zu und wurden für Leib und Leben der Menschen
gefährlicher. Ab Oktober 1940 wurden Schulkinder aus den vom Luftkrieg bedrohten Städten
in weniger gefährdete Gebiete gebracht. Im Ruhrgebiet evakuierte man ganze Schulen mit ihrem Lehrpersonal. Für den Dienst
in der Freizeit wurden Jungvolk- und Hitlerjugend-Mitglieder gesucht. Diese befreite man vom Schuldienst, um sie für
eine befristete Zeit als Führer in KLV Lagern einzusetzen. Gesucht wurden auch Führer
für das Lager von 350 Jungen einer Essener Volksschule. Die Schüler aus Essen Karnap waren nach Leipnik verschickt
worden. Eine historische Kleinstadt mit einigen Tausend Einwohnern, die in der Nähe von
Olmütz in der Mährischen Pforte liegt. Am Ortsrand gab es ein Taubstummenheim,
das für die Lehrer und Schüler freigemacht worden war. Es bot alle Möglichkeiten einer Internatschule.
Die Flucht von zu Hause in die Selbstständigkeit, meine erste Reise in die
weite Welt, der Reiz einer Führungsaufgabe und nicht zuletzt monatlich 30 Mark
Geld für den Einsatz motivierten mich zur Bewerbung. 4 Wochen später sass ich als 15 jähriger Pimpf im Zug.
Über Berlin, Breslau und Mährisch Ostrau kam ich nach 1000 Kilometern und 24 Stunden Zugreise in schwarzbrauner Uniform mit
grünweisser Kordel eines Fähnleinführers in Leipnik an.Die Zeit meiner Aufgabe war befristet. Nach
6 Monaten wurde ich auf die Heimreise geschickt. Diesmal über Prag, Aussig,
durch das Elbsandsteingebirge und über Dresden, Berlin nach Duisburg. Ich holte
in meiner Schulklasse Versäumtes nach, als überraschend das Angebot kam, nach
Leipnik zurück zu kehren, um den Lagermannschaftsführer abzulösen. Das war der
Hammer. Man kannte mich und wollte mich.
Bei der Kriegsmarine.
Am 1. Juni 1942 stieg ich in den Zug, der mich nach Flensburg
brachte. Ich verdrängte die Ereignisse der Vergangenheit und verabschiedete
mich von Geschwistern und Eltern, Schulkameraden und Jungvolk, auch von Cissy
Werner. Ich war fixiert auf den Start zum Aufstieg über die Brücke der Marine.
Nach einer Rekrutenausbildung in Flensburg Mürwik wurde ich als
Kadettnach Kiel kommandiert. Dort fand überraschend eine Ausleseprüfung für eine
besondere Eignung statt. Die Tauglichkeit für U-Boote war Gegenstand
psychologischer und medizinischer Tests. Wer nicht im Sieb blieb wurde auf die
Weiche für Dickschiffe gestellt. Das sind Schlachtschiffe, Kreuzer, Zerstörer, Mienenboote. Ich wurde für die
U-Boote rausgefiltert und war stolz auf diese Auslese. Anerkennung der
Persönlichkeit ist die beste Kraft für die Förderung der Leistung. Wir fragten nicht nach der Auswahl für Überleben
oder Tod.....
......In Kiel wurden die ersten Semester unserer Ingenieur
Ausbildung absolviert. Mit einem guten Platz in der Rangliste wurde ich als Fähnrich zur Ausbildungsgruppe
Front der U-Boot Waffe nach Pillau, nördlich von Königsberg, kommandiert.....
....Nach weiteren Semestern der Ingenieurbildung in Kiel war ging es
wieder zur Agru-Front nach Pillau. Ziel war die Abschlussprüfung für Leitende Ingenieure.
An Bord wurden Bootszustände simuliert, wie sie unter Wasser bei Feindberührung
auftreten. Vom Stromausfall bis zum Wassereinbruch und vom Tauchen bei
Fliegerangriffen bis zum Luftmangel. 30 Tage waren vorgesehen. Nach 16
Tagen wurde ich als geeignet entlassen. 14 Tage vor dem Beförderungstag meiner Crew holte mich der Kommandeur der
Ausbildungsgruppe Front, Kapitän zur See Engler, auf der Milwaukee in sein
Büro. Er gab mir die Bestätigung der Beförderung zum Leutnant Ing. mit der Befähigung des Leitenden Ingenieurs für
U-Boote und übergab mir ein Kommando für einen Lehrauftrag an der Marine
Ingenieur Schule in Heiligenhafen.
Ich war wenige Tage vorher 20 Jahre alt geworden und träumte vom Boot im Atlantik. Die Vorstellung von Orden und
Ehrenzeichen für Tapferkeiten vor dem Feind spukte in unseren Köpfen. Das kann man nur begreifen,
wenn man die Urteilskraft der jungen Menschen in dieser Zeit unter den Umständen der Gegenwart dieser Zeit nachempfinden könnte. Ich
beschrieb meinem Vorgesetzten meine Wünsche. Der sprach die unvergessenen Worte
„ab nach Heiligenhafen. Wir sparen Sie
für den Frieden auf“.......
.....Im Juli 1945 erhielt ich den Entlassungsschein mit
allen Dokumenten meiner Ausbildung für eine Rückkehr zur Heimatstadt Duisburg.
Dort fand ich recht bald eine Anstellung als Betriebsingenieur der Duisburger
Kupferhütte und startete einen neuen Weg in die Zukunft.
Ich war 21 und meine Freundin Cissy 20 Jahre alt. Wir beschlossen, unseren Weg gemeinsam und selbstständig weiter zu gehen. Wir
wollten bald heiraten und planten dafür
den Januar 1947. Das sollte eine schöne Hochzeit werden mit vielen Freunden und reich gedeckten Tischen. Ich nahm Kontakt mit dem Hof meiner
Erntehilfe in Grünendeich auf. Das Alte Land war Sperrgebiet, um den Abfluss des begehrten Obstes zum Schwarzen Markt zu verhindern.
Großhändler bekamen Passierscheine. Ihre Transporter wurden bei der Einfahrt mit leeren Kisten und bei der Ausfahrt mit
vollen Kisten gewogen. Die Differenz musste mit der Gewichtsangabe der
Lieferscheine übereinstimmen.
Nichts ist unmöglich wenn man einen Plan entwickelt, um Wege zum Ziel zu öffnen
Ich ging zum Großmarkt,überzeugte einen Händler von meinem Plan, die untere Lage der leeren Kisten auf
der Hinfahrt mit Kohlen zu füllen. Bei der Rückfahrt konnte dann soviel Obst
mehr geladen werden wie die im Alten Land verbliebene Kohlenmenge wiegt. Eine Hälfte davon für den Großhändler und
die andere für mich. Hugo Köpcke war begeistert und stimmte zu und besorgte mir
einen Dauerpassierschein. Die Mengen musste ich selbst pflücken, damit sie nicht im Nachweis der
Hofarbeiter registriert wurden. Für die Ernte
von Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen verabredeten wir 2 Perioden. Dafür musste ich je eine Woche von der
Kupferhütte fern bleiben. Ich versprach meinem Chef eine Kiste Obst und er
drückte zweimal für je eine Woche beide Augen zu. Die Aktion verlief
reibungslos.
Bei jeder Reise waren 1000 Kilogramm Obst das Ergebnis. Das war eine Basis für den Tauschhandel von
Kirschen gegen Tee, Pflaumen gegen Mehl und Zucker und Äpfel gegen Butter und
Speiseöl. Tee war bei den Friesen beliebt. Mein Schwiegervater besorgte dafür
in Friesland Speck. Zucker war mein Rohstoff für Alkohol.
Ein Crewkamerad der Marine,Hans Hugo Meschede, Sohn des Besitzers der stillgelegten Schnapsbrennerei
Gut Mildental in Rüthen an der Möhne, zeigte mir bei einem Besuch die
Destillieranlagen und ein Lager mit Essenzen und Kräutern, die zur
Herstellung von Likör aus hochprozentigem Alkohol verwendet werden. Verdampfen, Kondensieren und
Destillieren gehörten zu meinem Wissen aus dem Fach Wärmetechnik. Ich ließ mir von den Schlossern in der Kupferhütte heimlich eine
Destillierblase aus Kupfer herstellen. In einem Glasbehälter wurde Zucker mit
Hefe geimpft. Die Mikroben der Hefe verdauen Zucker und scheiden Alkohol aus.
Die Lösung wurde in der Destillierblase gekocht und der Alkohol kondensiert. Produktionsort war unser Dachspeicher.
Geheizt wurde mit einer Kochplatte und gekühlt mit Leitungswasser.
Hans Hugo Meschede schenkte Mixturen von Kräutern und Sirup mit den zugehörigen Etiketten. Ich produzierte
Danziger Goldwasser, Jägermeister, Kräuterbitter und klaren Schnaps. Alles warso etikettiert wie man es früher in Läden kaufen konnte.
Das Lager füllte sichmit Speisen und Getränken für das große Ereignis.
Am 18. Januar 1947 gaben wir uns vor einem Standesbeamten mit dem bezeichnenden Namen Bräutigam das Ja für unsere Ehe. Am nächsten
Tag holten wir uns bei Pastor Albrod in der katholischen Kirche Duisburg Buchholz den kirchlichen Segen.
Es war ein Wintertag mit Eis und Schnee. Die
Pferde unserer Hochzeits-Kutsche hatten Mühe, nicht auszurutschen. Cissy trug
ein Hochzeitskleid aus weißer Fallschirmseide und ich einen Anzug, dem man
nicht ansah, dass er mal eine Offiziersuniform der Marine war. Dazu einen
schwarzen Zylinder aus der Hut Kiste meines Schwiegervaters. Eine fröhliche
Hochzeitsgesellschaft feierte mit uns unbeschwert das besondere Ereignis.
Wenn du einen glücklichen Tag erlebst versäume nicht,Weichen für morgen zu stellen.
Wir hatten den glücklichen Tag. Nach unserem Sohn Wolfgang, im Februar 1948, kam Im Mai 1951 unsere Tochter Marlene zur Welt.
Am nächsten Morgen sollte ich in Aachen in der Darstellenden Geometrie geprüft werden. Für die Verfahrenstechnik ein unwichtiges Fach,
aber im Studentenfutter sind nicht nur Rosinen sondern auch
Nüsse. Meine Frau sagte nach der Entbindung „Mache Deine Prüfungen in Aachen“
und ich erwiderte „Morgen bin ich wieder da“. Schlecht vorbereitet ging ich in die Prüfung
und gut behandelt kam ich raus. In der kleinen Gruppe meiner Fachrichtung kannten die Lehrer ihre Schüler. Mein
Professor fragte nach dem Verhältnis der Winkel eines Dreiecks mit
gleichen Schenkeln. Meine Gedanken waren bei Marlene und bei meiner Frau.
Schlagfertig beschrieb ich den Zwiespalt. „Lieber Herr Messing, kommen sie in 14 Tagen noch mal wieder“ war
die Antwort. So klug und fair waren Lehrer in der Zeit meiner Zeit. Statt uns auf unserem Weg nach vorne eine
Strecke zurück zu schicken gaben sie uns eine neue Chance. Ich kam 14 Tage
später wieder und bestand meine Prüfung.
Viele Jahre danach schlug ich in einer Beiratssitzung Professoren unserer Duisburger Universität vor, bei Prüfungen des Wissens den
Eindruck der Persönlichkeit zu beachten. Gegenargumente waren die Prüfungsordnung
und die Inflation der Zahl der Bewerber. Viele haben nicht begriffen, dass
Qualität vor Quantität geht. Ich mag Menschen, die eine gesunde Mischung aus
Wissen und Persönlichkeit darstellen. Für den Dienst der Lehrer nach Vorschrift
bin ich nicht geeignet. Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt, für manchen
steht er dort im Wege.
1953 gründete ich mit Fred Sowen die Denkfabrik Messo in Duisburg
Die Welt öffnete sich und eine Entwicklung stand vor uns, von der ich als Kind nie hätte träumen können.
Du kannst alles was Du willst beschreibt die Geschichte der Globalisierung von Ingenieur Ideen der HighTech im Messo Hochhaus
in Duisburg und die weltweite Vernetzung deutscher Ingenieurleistungen.
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